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Mit dem Sterben konfrontiert - meine eigene kleine Geschichte

 

 

 

Dresden. Februar 2011. Während meines einjährigen Praktikums in Dresden lebte ich in einer kleinen Einzimmerwohnung. Die Aussicht auf die Elbe war schön. Doch in diesem Jahr sollte sich die chronische Autoimmunerkrankung Lupus zurück melden. Der Wolf war erwacht.

 

Ich lag auf meinem Sofa. Es war klein und alt, aber relativ gemütlich. Ich wartete, mehr konnte ich eh nicht tun.

Vor einigen Tagen hatte meine Rheumatologin einen Termin im Krankenhaus für mich gemacht, ich sollte stationär aufgenommen werden. Doch das Krankenhaus war voll, ich musste etwa eine Woche warten, bis ich mein Bett bekam. Also hieß es für mich, auf dem Sofa liegen und warten. Es war still, ich war allein. Schmerztabletten nahm ich nicht mehr ein, denn sie zeigten schon seit einiger Zeit keine Wirkung mehr. Zumindest nicht genug.

Während ich wartete, bekam ich langsam das Gefühl, ich wartete auf den Tod.

 

Während ich in die Luft starrte, veränderte sich plötzlich die Kulisse. Ich stand im Freien. Vor mir standen vereinzelnd schöne zierliche Bäume. Obwohl ich diese Umgebung klar wahrnehme konnte, sah ich trotzdem noch das Zimmer, in dem ich lag. Es war, als ob eine zweite Realität meine gewohnte Realität überlagern würde. Ich schaute mich um und wandte mich nach rechts. Dort war ein großer See. Ein Boot war am Ufer festgemacht und eine Person stand rechts neben dem Boot, mir zugewandt. Als ob sie auf mich warten würde. Ich stand einen Moment unschlüssig da. “Was wäre, wenn ich jetzt dorthin gehen würde?“, fragte ich mich. „Was wäre, wenn ich mich jetzt dort in das Boot setzen würde?“ Doch sobald ich diesen Gedanken zu Ende gedacht hatte, verblasste diese neue Realität und ich sah nur noch die weißen Wände meines Zimmers. „Sterben ist schön“, flüsterte ich zu mir selbst.

 

Im Krankenhaus waren die Ärzte nicht begeistert davon, dass ich so spät gekommen war – wofür ich natürlich nichts konnte.

“Eine Woche später, und Sie wären jetzt ein Dialysepatient“, sagte der Arzt kopfschüttelnd. „Ihre Nieren sehen ja aus wie Schweizer Käse.“

 

Am ersten Tag sollte ich alleine zum Röntgen gehen. Das Krankenhaus war riesig, es hatte mehrere Gebäude. Nachdem ich beim Röntgen gewesen war, wollte ich zurück zu meiner Station. Ich war so neben der Spur, dass ich gegen eine Scheibe lief, aber dann am Ende doch den Weg zu meiner Station fand. Dort fing man mich gleich ab. Sie hatten anscheinend bereits meine Röntgenergebnisse zugeschickt bekommen.

„Halt, keinen Schritt weiter!“, riefen sie. Ich war etwas irritiert und wollte das Tablett mit meinem Mittagessen ins Zimmer tragen. „Nein, sofort wieder hinstellen“, riefen sie. „Keinen Schritt weiter gehen!“ Also blieb ich stehen und schaute etwas irritiert und irgendwie auch belustigt um mich. Was ging hier vor? Schon kam eine Krankenschwester mit einem Rollstuhl angerannt. Dort durfte ich mich dann hinein setzen.

 

Es war ein Freitag und meine Oma war an dem Tag nach Dresden gefahren um mich zu unterstützen.

Was die Ärzte festgestellt hatten war sehr beunruhigend. In meinem Herzbeutel war ein Pleuraerguss entstanden, der bereits fast so groß war wie das Herz selbst. Eine Operation wäre riskant und sie würden beraten, wie es nun weitergehen sollte. Ich nahm diese Nachricht mit einem Nicken hin.

Am Wochenende fanden meist keine großen Untersuchungen statt. Ob an diesem Wochenende bereits was unternommen werden sollte war also unklar.

Ehrlich gesagt konnte ich mir zu dem Zeitpunkt keine großen Gedanken machen. Geschweige denn Sorgen, denn dazu fehlte mir die Kraft. Gegen Abend merkte ich dann, dass mir das Atmen schwerer und schwerer fiel. Am Vormittag hatte ich noch normal sprechen können, immerhin war ich ja auch alleine mit der Tram zum Krankenhaus gefahren. Hatte alleine eingecheckt.

Mir kam der Gedanke, was gewesen wäre, hätte ich den Termin im Krankenhaus zwei Tage später gehabt …

 

Der Pleuraerguss war wohl so groß geworden, dass er auf meine Lunge drückte und mir das Sprechen und Atmen erschwerte. In meinem Brustkorb wurde es von innen immer enger. Irgendwann gab ich das Sprechen auf.

Meine Oma betete die ganze Nacht hindurch. Meine Familie hatten auch ihren Gemeindemitgliedern Bescheid gegeben und viel wurde für mich in den nächsten Stunden gebetet.

 

Am darauffolgenden Tag wurde ich mitsamt dem Bett zum Ultraschall geschoben. Soweit ich mich erinnern kann, muss es gegen Abend gewesen sein. Bevor sie weitere Schritte unternahmen, wollten sie doch noch einmal mein Herz untersuchen.

Ich konnte bereits besser atmen, daher wunderte es mich nicht, als der Arzt, der den Ultraschall durchführte, meinte, dass er dort nichts mehr finden könne. „Dort ist kein Pleuraerguss mehr“, sagte er. „Alles in Ordnung.“

Die Ärzte waren an dem Tag sehr verwundert. „Dann hat unsere Therapie ja schnell angeschlagen“, überlegte der verantwortliche Arzt. So recht verstehen konnte er es dennoch nicht.

 

Als ich die Geschichte etwa ein Jahr später bei einem anderen Kardiologen erzählte, der mein Herz noch einmal untersuchen sollte, schüttelte er den Kopf. „Das ist ja überhaupt nicht möglich, dass ein Pleuraerguss dieser Größe so schnell verschwindet.“

Ich grinste in mich hinein. Denn ich war mit 100 Prozent sicher, dass Gott ein Wunder getan und die vielen Gebete meiner Oma und meiner Familie erhört hatte.

 

Wenn Gottes Zeitpunkt für uns gekommen ist, diese Welt zu verlassen, dann ist er gekommen. Doch wenn er noch nicht gekommen ist, kann man sich auf den Kopf stellen, Gott führt einen in jedem Fall wieder heraus und ins Leben hinein.

 

Meine oben beschriebene Erfahrung würde ich nicht als Nahtoderfahrung beschreiben, denn meinen Körper habe ich zu keinem Zeitpunkt verlassen. Ich weiß ehrlich gesagt nicht genau, wie ich diese Erfahrung benennen soll. Eine offene Vision? Der Vorhang der geistlichen Welt hat sich für einen Augenblick für mich geöffnet?

 

Ich weiß es nicht. Aber was immer es auch war, es war gut. Und ich bin dankbar dafür.

 

 

 

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